Am Tag nach dem Konzert des Aviv Quartet in St. Gallen ist das Ensemble in der Tonhalle Zürich im Rahmen der Zürcher Festspiele mit demselben Programm aufgetreten. Nachfolgend die Kritik der Neuen Zürcher Zeitung zu diesem Konzert.


3. Juli 2006, Neue Zürcher Zeitung

Eine Entdeckung

Das Aviv-Quartett mit Schostakowitsch und Mozart


Das junge, aus Israel stammende Aviv-Quartett ist an den Zürcher Festspielen für das dienstälteste Streichquartett der Welt eingesprungen, für das Borodin-Quartett, das wegen Erkrankung ausgefallen war. Was für eine Entdeckung konnten die wenigen machen, welche am Freitagabend trotz dem unbekannten Namen den Weg in die Zürcher Tonhalle gefunden hatten. Mozarts Es- Dur-Quartett KV 428 stand auf dem Programm, eingerahmt von den beiden Quartetten Nr. 7 fis- Moll op. 108 und Nr. 3 F-Dur op. 73 von Dmitri Schostakowitsch. Brüchig der Klang im Piano am Anfang von Schostakowitschs fis-Moll-Quartett, und dann: Welche Farben entwickeln die vier aus einer Partitur, in der nur das Nötigste steht und die sich aller Opulenz verweigert. Wie präzise (und ausbalanciert) setzen sie diese Farben ein, um die reine, mit aller Deutlichkeit dargestellte Struktur zu emotionalisieren. Wie geschmackssicher suchen sie das Drama hinter dem Notentext. Auf welch phantastische Weise lassen sie die musikalische Zeit in ihrem Kollektiv durch alle hindurchfliessen. Und wie perfekt wird intoniert.

Im F-Dur-Quartett kommt der Sarkasmus des Komponisten, seine Affinität zum Grotesken, das Doppelbödige auf umwerfend frische Weise zur Geltung. Mit ihrer dezidierten Sicht des Werks lassen einen Sergei Ostrowsky, Jewgenja Epstein, Shuli Waterman und Rachel Mercer Schostakowitsch neu - und aktuell - erleben. Aber auch Mozart: Respektvoll haben sie sich dem Es-Dur- Quartett genähert; vielleicht hätte hier etwas mehr Frechheit gut getan, um die Haydn-Nähe der Musik auch zu zeigen. Aber jede Note der Partitur wurde auf ihre Bedeutung im Werkganzen befragt. Intelligent, durchdacht war also die Auslegung des Notentextes durch das Aviv- Quartett; fein austariert wurden hier die verschiedenen Schwebezustände gezeigt, mit einer Intensität sondergleichen. Von diesem Ensemble wird man noch einiges hören.


Alfred Zimmerlin



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A discovery

The Aviv Quartet with Shostakovich and Mozart


Young Israeli Aviv Quartet replaced the world's most senior string quartet - the Borodin Quartet, which could not perform due to illness - at the Zurich Festival. What a discovery to be made by the few who had found their way to Zurich's Tonhalle despite the unknown name. Mozart's quartet in E Flat Major KV 428 was on the programme, framed by the two quartets no. 7 in f sharp minor op. 108 and no. 3 in F Major op 73. by Dmitry Shostakovich. Fragile the sound in the piano at the beginning of Shostakovich's f sharp minor quartet, and then: What colours those four develop from a score which contains only the absolutely necessary, which refuses itself to any opulence. How precise (and well-balanced) they deploy these colours in order to emotionalise the pure, most articulately depicted structure. Which what secure sense of style do they seek the drama behind the notes. In what a fantastic manner do they let the musical time flow through all of them in their collective. And how perfectly do they intonate.

Their interpretation of Shostakovich's F Major quartet emphasises, which the most staggering freshness, the sarcasm of the composer, his affinity for the grotesque, the ambiguous. With their decided view of the work, Sergey Ostrowsky, Jewgenya Epstein, Shuli Waterman and Rachel Mercer let us experience Shostakovich in a new - and up to date - way. But Mozart as well: Respectfully they approached the E flat Major quartet; possibly a little more cheekiness may have done good to demonstrate this music's closeness to Haydn. But every note of the score was scrutinised as to its meaning in the entirety of the work. Intelligent and sophisticated was the Aviv's interpretation of the score; in a finely elaborated way, they showed the work's various states of suspension with an extraordinary intensity. We will hear considerably more from this ensemble.



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