24. September 2010, Neue Zürcher Zeitung

Tänzer und Zen-Meister

Thomas Demenga bei den Zürcher Kammerkonzerten


Flüchtige Worte als Hommage an einen Mäzen: Luciano Berios kurzes Werk für Cello solo, "Les mots sont allés . . .", 1976 zum siebzigsten Geburtstag von Paul Sacher komponiert, insistiert auf den Tonbuchstaben des Namens: "eS-A-C-H-E-Re". Die Tonfolge wird sorgfältig in den Raum gesandt, wie ein bedächtiges Rezitativ, dann rhythmisch bewegter variiert, und plötzlich beginnen die Klänge, die musikalischen Figuren gleichsam in der Luft zu tanzen.

Bruchstücke und Splitter

Der Cellist Thomas Demenga eröffnete mit diesem Werk seinen Abend bei den Zürcher Kammerkonzerten in der Kirche St. Peter in Zürich, und er ist ein musikalischer Tänzer. Einer mit einem ganz starken inneren Zentrum, aus dem heraus die Bewegungen der Musik entstehen, ganz natürlich und selbstverständlich. Eindrücklich, wie belebt er jeden Ton gestaltet und das Werk genau im Gleichgewicht hält.

Bernd Alois Zimmermanns epochale (und enorm schwierige) Sonate für Violoncello solo von 1960 besteht aus lauter Bruchstücken und oft splittrigen Klängen, die sich in fünf Sätzen zu einem vielgestaltigen Ganzen fügen. Hier eine grosse Form zu spannen, ist äusserst anspruchsvoll. Demenga spielte den letzten Ton des Werkes - die Tonhöhe ist identisch mit dem ersten Ton der Sonate - und verwies mit der Färbung des Klangs und der Konzentriertheit eines Zen-Meisters so eindringlich an den Anfang zurück, dass trotz der bruchstückhaften Form plötzlich der ganze viertelstündige Weg, den diese Musik zurücklegt, mit aller Klarheit im Raum stand. Man hatte den Eindruck, dass die Musik Zimmermanns und ihr Interpret zu einer körperlichen Einheit verschmolzen. Und auch hier: Immer wieder begannen die Gestalten zu tanzen, besonders eindringlich etwa im vorletzten Satz "spazi". Was wohl trotz avancierter Tonsprache jeden im Publikum unmittelbar packte.

Zwischen Berio und Zimmermann spielte Thomas Demenga Johann Sebastian Bachs Suite Nr. 2 d-Moll für Violoncello solo auf einem (nachgebauten) Barockinstrument mit Darmsaiten, tiefer Stimmung und mit Barockbogen. Die Umstellung ist eine Herausforderung, die jedoch nur am Anfang kurz hörbar wurde. Wie er klang diese Musik voller Leben; erneut entstand der Eindruck, dass Komposition und Interpret zu einer völligen Einheit verschmolzen, schon im Prélude, das zu den eindringlichsten Präludien Bachs gehört, gespielt in fliessendem, aber keineswegs überhastetem, stimmig wirkendem Tempo.

Bach ohne Manieriertheiten

Demengas Spiel kennt keine artikulatorischen Manieriertheiten, mit der andere Cellisten der Gegenwart Bach mitunter ausstatten. Auch nicht in der den Abend abschliessenden C-Dur-Suite Nr. 3. Demengas Klangrede spricht unmittelbar, äusserst differenziert und ganzheitlich. Der Cellist singt und tanzt auf und mit seinem Instrument und öffnet mit einer unglaublich fein ausgehörten Agogik (d-Moll-Gigue!) und Artikulation die Ohren für ein neues Erleben dieser grossen Musik.


Alfred Zimmerlin

Zürich, Kirche St. Peter, 21. September.

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