7. August 2006, Neue Zürcher Zeitung

Ein Bach-Wunder

Rezital von Angela Hewitt in Zürich


Die kanadische Pianistin Angela Hewitt ist sehr eigen in ihren musikalischen Ansichten. In der Sommerreihe der Zürcher Kammerkonzerte gab sie in der Kirche St. Peter einen Abend - erstaunlicherweise ihr erstes Solorezital in Zürich. Ein Erlebnis ist es, wenn sie Johann Sebastian Bach spielt. Zur Partita No. 4 D-Dur (BWV 828) hat sie auf dem modernen Fazioli-Konzertflügel einen so überzeugenden, natürlichen Zugang, dass alle Bach-Interpretations-Traditionen zwischen historischer Aufführungspraxis, Romantik oder neuer Sachlichkeit keine Rolle mehr zu spielen scheinen. Sie lässt die Musik fliessen, die Tanzsätze erhalten tatsächlich einen tänzerischen Gestus, alle Stimmen sind genau gewichtet, die Musik ist restlos durchhörbar.

Vor allem aber ist Leben darin, farbiges, vielfältiges Leben. Und da kann einem schon der Atem stocken, wenn im langsamen Schreittanz der Sarabande im zweiten Takt auf dem hohen a die Musik plötzlich gleichsam stehenzubleiben scheint. Das ist ein vielschichtiger, ganzheitlicher Bach, den uns Hewitt zeigt, ein Wunder, geschaffen von einer starken Interpretin. - Dieses Wunder wiederholte sie in Wolfgang Amadeus Mozarts c-Moll-Klaviersonate KV 457 leider nicht. Sie gab dem Werk bisweilen Härte, suchte die Ausdruckswerte zu polarisieren, unterspielte aber gleichzeitig die meisten Akzente. Eine gar uneinheitliche Sicht auf Mozart also.

Doch dann Frédéric Chopin; die Musik der frühen Romantik liegt ihr wieder sehr. Grandios die Bewegung, die atmende Agogik, die Farben welche sie aus den drei Mazurken op. 50 und vor allem aus drei Walzern (cis-Moll, Ges-Dur, e-Moll) hervorzauberte. Und auch aus Maurice Ravels "Tombeau de Couperin" kann sie ein Ereignis machen, wiederum ganzheitlich (ein kleines Fragezeichen sei zur doch etwas sehr stockenden Agogik des Menuetts gesetzt), mit einer Feinfühligkeit sondergleichen. Und ihre Zugabe, Chopins "Regentropfen"-Prélude, wurde zu einem weiteren ganz grossen Höhepunkt des Abends.


Alfred Zimmerlin

Zürich, Kirche St. Peter, 3. August.

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