28. August 2009, Neue Zürcher Zeitung

Erschöpfende Seelenstürme

Gidon Kremer bei den Zürcher Kammerkonzerten


Eben noch überboten sich Geige und Cello in unbedingtem Ausdruckswillen, wollten nicht aufhören, ihren Bogen im Unisono immer weiter zu spannen. Doch dann, nach einer Fermate, intoniert das Klavier einen Trauermarsch, ganz piano, unerbittlich. Das vorher so leidenschaftlich imaginierte Leben fällt in wenigen Takten beinahe lautlos in sich zusammen. Unversehens werden die Anfangstakte des Abends in der Kirche St. Peter wieder wach im Geist. Wie von fern dringen jene zerbrechlichen Celloklänge ins Ohr, jene von Verzweiflung über den Tod eines Freundes entkräftete Musik, die kaum vom Fleck kommt.

Trauermusik

Peter Tschaikowskys Klaviertrio a-Moll op. 50 und Dmitri Schostakowitschs Trio Nr. 2 in e-Moll op. 67: Beides sind Trauermusiken, beide changieren zwischen Aufbegehren, Erinnerung und Niedergeschlagenheit. Bei Schostakowitschs zu Kriegszeiten geschriebenem Werk klingt zudem der Aufschrei einer ganzen Generation mit. Als (zu) gewichtiges Aufwärmstück blieb es in seiner tragischen Dimension zunächst unterbelichtet und vermochte erst im Finale richtig zu packen. Umso mehr kniete sich das Trio um Gidon Kremer in Tschaikowskys Seelenkosmos. Mit seinen beiden jungen Kammermusikpartnerinnen Giedre Dirvanauskaite (Violoncello) und Khatia Buniatishvili (Klavier), die mit ihrem gleichermassen kraftvollen wie lyrischen Spiel ein Versprechen für die Zukunft abgab, erkundete der weltberühmte Geiger alle Facetten dieser Ausdrucksmusik und blieb ihr vom dunklen Singen auf der G-Saite bis zum überdrehten Walzer nichts schuldig.

Zwischen diesen beiden Meisterwerken der Klaviertrio-Literatur erklang "Miroirs", ein knapp zwanzigminütiges Stück des gebürtigen Russen Victor Kissine (*1953). Eine hingetupfte Figur im Diskant, ein leises Pochen im Bass bilden den Rahmen für mannigfaltige Spiegelungen zwischen den Instrumenten.

Volle Kirche

Auch im Abschlusskonzert der diesjährigen Saison hat sich der Traum so manchen Pfarrers - eine volle Kirche nämlich - für die Konzertveranstalterinnen erfüllt: Im fünften Jahr ihres Bestehens scheinen die Zürcher Kammerkonzerte vollends im städtischen Kultursommer angekommen zu sein.


Jürg Huber

Zürich, Kirche St. Peter, 26. August.



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