8. Juli 2006, Tages-Anzeiger

Das Viola-Wunder von Zürich


"Stille Sommerwochen" sieht der Zürcher Kammerkonzertverein vor sich und will diese mit einer kleinen Konzertserie im St. Peter beleben. Das mag in diesen von Ironmännern verstopften, von Fussballgebrüll erfüllten und von Festspielkultur überfluteten Tagen einigermassen paradox anmuten. Aber vielleicht muss man die Sache eben umgekehrt betrachten: Wo ohnehin unentwegte Hyperaktivität herrscht, tragen vier schlichte Kammermusikabende kaum mehr massgebgeblich zum allgemeinen urbanen Kulturlärm bei. Vielmehr schaffen sie innerhalb des unaufhörlichen Musikstroms Stille und laden mit einer Haltung der Diskretion zu fokussierendem Hören ein.

Solche Gedanken weckte am Donnerstag das erste der vier Kammerkonzerte. Kim Kashkashian und Lydia Artymiw spielten berühmte Violasonaten, und es war dabei ganz unerheblich, dass Kashkashian als höchst gehandelte Starbratschistin der Gegenwart gilt. Kein Glamourauftritt, sondern konzentriertes, ausserordentlich klangvolles, technisch nicht immer makelloses, doch in jedem Moment engagiertes Musizieren war zu erleben. Die Kirchenakustik des St. Peter erschwerte zwar biswielen die Transparenz der Form in Johannes Brahms' Es-Dur- und in Paul Hindemiths F-Dur-Sonate. Dafür strömte die Sinnlichkeit eines unerhört farbig blühenden Bratschenklangs umso wirkungsvoller.

Und spätestens als die beiden Musikerinnen zum Schlusssatz von Dmitri Schostakowitschs C-Dur-Sonate gelangten, wurden Raum, Stille und eine schier unendlich gedehnte Zeit zum geradezu beklemmend unmittelbaren Erlebnis. Diese Musik, Schostakowitschs allerletzte Komposition: so traurig, so schön, so trostlos - so muss es sich wohl anfühlen, wenn all der Lebenslärm an sein definitives Ende gelangt ist.


Michael Eidenbenz



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