29. August 2007, Tages-Anzeiger

Eine quicklebendige Ikone der Alten Musik

Viele Geschichten und eine unvergleichliche Stimme: Emma Kirkby sang bei den Zürcher Kammerkonzerten.


Auch sitzen ist eine musikalische Tätigkeit, für Emma Kirkby jedenfalls. Sie sitzt im voll besetzten St. Peter zu Lautenliedern von Pierre Guédron oder Georg Schimmelpfennig, um auf gleicher Höhe mit dem Lautenisten Jakob Lindberg zu sein. Stimme und Begleitung seien in diesen Liedern eng miteinander verknüpft, hatte sie tags zuvor betont, "da ist mein Part nur einer von mehreren". In anderen Stücken, wenn die Laute "nur" die Continuo-Begleitung liefert, steht sie.

Das Detail zeigt nicht nur die umfassende Gründlichkeit, mit der Kirkby ihr Repertoire durchdenkt, es illustriert auch ihr Verständnis von Teamwork. Darum gehe es beim Musikmachen, sagt sie, und es gilt auch neben dem Podium.

"Oh, nice!" sagte die Queen

Auf die Anfrage für ein Interview hiess es jedenfalls: Gern, aber Lindberg solle ebenfalls dabei sein. Und mit Lindberg kommt auch seine Laute, "die dritte Person auf dem Podium". Von ca. 1590 stammt das Instrument, und seine Entstehungszeit bestimmte das Programm, das die beiden in Zürich präsentiert haben.

Neben bekannten Komponisten wie John Dowland oder Henry Purcell waren gänzlich vergessene wie eben Guédron, Schimmelpfennig oder Henry Lawes darin vertreten. Ihre Werke handeln von Bitterkeit und verlorener Liebe, von Glück und Natur und Schönheit, und all dies klingt an in Interpretationen, die nicht laut oder akrobatisch sein müssen, um das Publikum in Bann zu halten. Jakob Lindberg ist ein ebenso einfallsreicher wie diskreter Lautenist, und Emma Kirkbys Sopran klingt immer noch atemberaubend rein, ruhig und jung.

Es ist diese Stimme, die sie in den 1970er- und 80er-Jahren zu einer Ikone der Alten Musik gemacht hat. Rein zufällig zunächst: Der Lautenist Anthony Rooley hörte die damalige Englischlehrerin in einem Chor und befand, das sei genau die Sopranistin, die er gesucht habe. Rooleys Consort of Musicke wurde Kirkbys erste musikalische Heimat, die Zusammenarbeit eröffnete ein neues Kapitel in der Interpretationsgeschichte Alter Musik - und eine Karriere, die Kirkby mit vielen bedeutenden Dirigenten, Mitmusikern, Ensembles zusammengeführt hat.

Inzwischen ist die allgemeine Verblüffung über ihre Stimme ein wenig geschwunden; die Kritiker haben sich auf die Adjektive "engelsgleich" und "mädchenhaft" geeinigt, die historisch informierte Beschäftigung mit Alter Musik ist selbstverständlich geworden, und das Vibrato, auf das Kirkby so stil- und intonationssicher verzichtet, ist nicht mehr verboten. In Salzburg hätte kürzlich Anna Netrebko Superstar das "Stabat Mater" von Pergolesi singen sollen: Viel ist passiert, seit Kirkby mit dem Countertenor James Bowman, dem Dirigenten Christopher Hogwood und der Academy of Ancient Music das Werk mit der nach wie vor schönsten Einspielung ins Gespräch gebracht hat.

Kirkby selbst steht über den Moden (erst kürzlich rangierte sie im "BBC Music Magazine" als einzige Sängerin ohne Opernerfahrung auf der Liste der besten Sopranistinnenaller Zeiten: Rang 10). Und sie ist auf dem Boden geblieben, allen Erfolgen zum Trotz. Ihre Termine etwa organisiert sie nach wie vor selbst, "weil Agenten sich nicht um Nebensächlichkeiten wie Schulferien kümmern mögen" und ausserdem versucht sein könnten, sie an Projekte zu vermitteln, zu denen sie nicht passt: "Wenn ein Dirigent eine Brünnhilde erwartet und dann komme ich mit meiner doch eher speziellen, um nicht zu sagen freakigen Stimme - das kommt nicht gut."

Ob es Dirigenten gibt, die Emma Kirkby nicht kennen? Sie lacht, doch doch, die gebe es bestimmt, und zitiert dann in sozusagen gerüschtem Ton den Dialog zwischen ihr und Queen Elizabeth II. anlässlich der Verleihung des Order of the British Empire: "Die Queen: Was tun Sie? Ich: Ich singe. Die Queen: oh, nice!"

Kokett und melancholisch

Die Queen hatte Recht, und auch wieder nicht. Kirkby gehört zwar nicht zu jenen Sängerinnen, die barocke Stimmungsmalereien mit rauen oder verhauchten Klängen theatralisch aufpeppen; ihr Gesang bleibt in jeder Gefühlslage blitzblank. Trotzdem, das zeigt sich auch im Zürcher Konzert, ist er nie nur "nice". Kirkby hat ihre eigenen Methoden, den Witz und die Schärfen in den Texten (und die Dissonanzen in der Musik) zur Geltung zu bringen. So wie sie im Gespräch ihre Anekdoten zu platzieren weiss, erzählt sie auch im Konzert Geschichten: in koketten oder melancholischen Klangfarben, mit präzis gesetzten Konsonanten, Gesten, Verzierungen. Man erinnert sich an Jakob Lindbergs Bemerkung, dass sein Instrument exakt so laut sei wie die menschliche Sprechstimme; Kirkby nutzt tatsächlich jede Möglichkeit, sprechend zu singen.

Bis Ende dieses Jahres wird sie es in verschiedenen Programmen und mit verschiedenen Ensembles noch stolze 33-mal tun. In England natürlich, dazu in Südamerika, Belgien, Frankreich, Kanada, der Türkei, Deutschland, Polen, erstmals auch in China und Südkorea. Und irgendwann zwischendrin wird sie nochmals bei den Windsors eingeladen sein, wo sie als Dame Commander of the Order of the British Empire geadelt werden soll. "Dame Edna", spottet Jakob Lindberg in Anspielung auf einen "total vulgären" australischen Komiker. Dame Emma dagegen sagt, dass sie immerhin die erste "Old-Music-Dame" sein werde. Und dass sich die Queen diesmal der höheren Ehre wegen wohl noch einen Satz mehr einfallen lassen müsse.


Der grösste Teil des Zürcher Programms ist auf der CD "Music and Sweet Poetry" bei BIS erschienen.


Susanne Kübler



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