23. August 2010, Tages-Anzeiger

Bestechende Variationen eines simplen Walzers


Zürich, St. Peter - Es ist ein seltsam abstrakter, fast melodieloser Walzer, mit dem der Verleger Anton Diabelli einen PR-Coup landen wollte: 50 Komponisten bat er um je eine Variation und zählte darauf, dass - frei nach der Devise: Für jeden etwas - ein gewinnstarker Notenband daraus würde. Bloss einer stellte sich quer: Ludwig van Beethoven schrieb gleich "33 Veränderungen über einen Walzer von A. Diabelli". Ein Konzertprogramm wie auf dem Präsentierteller, realisiert am Freitag im St. Peter: Mit Andreas Staier war ein Hammerflügel-Spezialist ersten Ranges eingeladen, eine Auswahl der Variationen aus der Feder von 49 mehr oder weniger bedeutenden Beethoven-Zeitgenossen mit dessen 50-minütigem Werk zu konfrontieren.

Nicht unerwartet schwankte die Qualität: Carl Czerny etwa verwandelte die simplen harmonischen Vorgänge des Walzers in etüdenhaften und immer noch simple Arpeggien-Kaskaden; der gerade elfjährige Franz Liszt tat Ähnliches, allerdings bereits im Gestus des auftrumpfenden Virtuosen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung ist seltener, am ehesten bei Franz Schubert, der das harmlose Thema mit wenigen, aber schwerwiegenden harmonischen Umlenkungen in eine unwirklich ferne Klanggestalt verwandelte. Und Beethovens Variationenwerk ist und bleibt eine beispiellose Demonstration musikalischen Denkens.

Sprühend vor physischer und geistiger Virtuosität sorgte Staier auf einem grossartigen Hammerflügel von 1825 für einen konzeptuell wie künstlerisch packenden Start in die Reihe der sommerlichen Zürcher Kammerkonzerte. Diabelli übrigens publizierte sowohl die 49 Einzelvariationen wie das Werk Beethovens - separat.


Tobias Rothfahl

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