8. Juli 2006, Zürcher Oberländer

Virtuose Viola


Der Start der Zürcher Kammerkonzerte im letzten Sommer war mehr als geglückt. Nun bringen die engagierten Initianten dieser kleinen, aber feinen sommerlichen Reihe in der Kirche St.Peter erneut ein profiliertes Programm mit vier Konzerten. Nach dem Auftakt mit der grandiosen Bratschistin Kim Kashkashian wird am Donnerstag, 13. Juli, der Wetziker Tenor Roger Widmer einen französisch-deutschen Liederabend geben. Der Sonntag, 16. Juli, ist für das junge, aber bereits sehr gefragte Phaedrus String Quartet reserviert, und im Abschlusskonzert vom 3. August wird die noch immer als Geheimtipp geltende Pianistin Angela Hewitt präsentiert, die vor allem mit ihrem eigenwilligen Bach-Spiel auf sich aufmerksam machte.

Voll erschütternder Kraft

Doch nun zum Eröffnungskonzert. Ein Bratschenabend mit anspruchsvollen Werken mitten in den Zürcher Festwochen - ob da jemand kommt? Es kamen überraschend viele. Kim Kashkashian zählt ja nicht nur zu den absoluten Spitzenvirtuosen auf der Bratsche, sie hat sich auch mit ihren kompromisslosen Rezital-Programmen einen schillernden Namen gemacht. Mit ihrem archaischen und doch sehr sinnlichen Ton, hinter den sie als Person fast zu bescheiden zurücktritt, verleiht sie vor allem der Moderne eine erschütternde Kraft. So auch am Donnerstagabend mit Bratschensonaten von Paul Hindemith, Johannes Brahms und Dmitry Schostakowitsch.

Der "Bürgerschreck" Hindemith war nicht nur der führende deutsche Komponist seiner Zeit, sondern auch ein guter Bratschist. Entsprechend vielschichtig sind seine "Variationen-Sätze" in der F-Dur-Sonate op. 11 Nr. 4. Dieses 1919 entstandene Werk sprüht nur so vor Ideen und französischem Klangraffinement, hatte sich Hindemith doch kurz zuvor doch als Bratschist an Debussys Kammermusik begeistert. Kim Kashkashian verfügt über eine reichhaltige Tonfarbenpalette, die sie höchst bewusst für jede Phrase, jedes Motiv mit anderen Schattierungen einsetzt. So kam der Variationenreichtum dieses Stücks richtig zum Aufblühen, wobei auch die brilliante Pianistin Lydia Artymiw die besondere Klangaura dieser Sonate mit luzidem Anschlag mitprägte.

Bratsche statt Klarinette

Johannes Brahms hat seine beiden Klarinettensonaten auch für Bratsche freigegeben. Die Es-Dur-Sonate op. 120 Nr. 2 ist dicht gesetzt und lebt von musikalischen Mikrostrukturen. Nicht der grossformale Zug, sondern die verinnerlichte Struktur ist hier das Entscheidende. Und wer, wenn nicht Kim Kashkashian, kann ein solch archaisches inneres Leuchten betörend freisetzen.

Anspruchsvoll zum Hören war das allemal, doch Kashkashian machte munter weiter: mit der dunklen Sonate von Dmitry Schostakowitsch op. 147, die doch eigentlich im hellen C-Dur steht. Dieses Widerspiel von Tonart und Ausdruck, das für Schostakowitsch so typisch ist, habe ich noch nie so subtil ausgehorcht und im Zusammenspiel präzise ausformuliert gehört wie in dieser fast abgehobenen, grossartigen Interpretation. Der unendlich lange, resigniert verklingende Schlusston klingt jetzt noch nach.


Sybille Ehrismann



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