11. Juli 2007, Zürcher Oberländer

Zürich: Grossartige Kammermusik in der Kirche St. Peter

Klaviermusik für die linke Hand

Der Pianist Antoine Rebstein und das Aviv String Quartet bescherten dem Publikum in der Kirche St. Peter eine Sternstunde der Kammermusik.


Musikliterarische Entdeckerfreuden und Begegnungen mit Künstlern, die eine ganz persönliche Kontur entwickelt haben, sind Attribute, die sich der Zürcher Kammerkonzertverein als seine Leitlinie gesetzt hat. Und was es zu entdecken gab am Montagabend in der Kirche St. Peter, war schlicht grossartig. Sehr gespannt wartete man auf den Auftritt des Schweizer Pianisten Antoine Rebstein. Er, ein junger Künstler, der bereits internationale Erfolge feierte und dessen Weg unaufhaltsam nach oben zeigte, wurde vom Schicksal stark gebeutelt, als vor vier Jahren die rechte Hand plötzlich ihren Dienst versagte. Statt aufzugeben, suchte er sich einen neuen, ganz persönlichen Weg in der für ihn damals noch wenig bekannten Welt der Musik für die linke Hand allein. Dieses äusserst anspruchsvolle Répertoire eröffnete ihm neue Perspektiven, aber bedingte auch ganz neue technische Voraussetzungen. Antoine Rebstein eröffnete den Konzertabend mit Prélude und Nocturne Op. 9 von Alexander Scriabin. Scriabin hatte dieses Opus für sich selbst geschrieben, als er die Erfahrung machen musste, eine Zeitlang ohne seine rechte Hand auskommen zu müssen. Rebstein spielte die beiden bezaubernden Miniaturen hoch sensibel mit einer schlichten Grazie und betörenden klanglichen Feinheiten. Eines der aufregendsten Werke für das Klavierspiel mit der linken Hand allein ist die von Johannes Brahms bearbeitete Chaconne aus der zweiten Partita für Solovioline von Johann Sebastian Bach. Brahms fand, dass er deren Duktus am ehesten treffe, wenn er sie mit der linken Hand allein spiele. Die technischen Schwierigkeiten, die es zu überwinden gebe, liessen ihn sich wie einen Geiger zu fühlen, schrieb er an Clara Schumann, als er ihr das Werk zuschickte.

Diese technischen Schwierigkeiten konnte man bei Antoine Rebstein nur erahnen, denn er spielte das kompakte, anspruchsvolle Werk in einer bestechenden Stringenz und musikalischer Ausdruckskraft. Mit einer unglaublichen Pedal- und virtuosen Fingertechnik entfaltet er klangliche Facetten und Differenzierungen, die den modernen Steinway zum Singen brachten.

Das Aviv String Quartet aus Israel mit Sergey Ostrovsky und Evgenia Epshtein, Violinen, Shuli Waterman, Viola, und Rachel Mercer, Cello, ist vielleicht von seinem letztjährigen Auftritt in Zürich noch in Erinnerung. Es ist eines der faszinierendsten Streichquartette der Gegenwart. Man weiss gar nicht, was man am meisten bewundern soll: Ihr in ständigem Blickkontakt perfektes Zusammenspiel, ihre Intonationssicherheit, ihre Emotionalität, die der Musik eine ungeheure Intensität verleiht oder ihre technischen Ausdrucksmittel, mit denen sie dem Ton eine durchdringende Expressivität, aber auch eine tiefe, beklemmende Intimität geben können. Das achte Streichquartett von Dmitri Schostakowitsch, das als sein persönlichstes Musikdokument gilt, hat man wohl selten in einer so aufwühlenden, ergreifenden Interpretation gehört.

Mit der Suite für zwei Violinen, Cello und Klavier linke Hand Op. 23 von Erich Wolfgang Korngold konnte ein Komponist entdeckt werden, der lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Als Jude im zweiten Weltkrieg aus Europa vertrieben, entsprach seine Musik nach seiner Rückkehr nicht mehr dem Zeitgeschmack der Europäer. Korngold schrieb seine Suite für den Pianisten Paul Wittgenstein, der im Krieg seinen rechten Arm verlor. Antoine Rebstein und die Mitglieder des Aviv String Quartets zeigten auch hier ihre fein durchdachte Sicht des Werkes. Mit sicherem Gespür vermochten sie die stark kontrastierenden Strukturen in Rhythmus und Stimmung zu deuten. Ihre faszinierend direkte Art des Musizierens betörte und ging unter die Haut.


Irène Maier



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