15. Juli 2006, Neue Zürcher Zeitung

Heimspiel

Liederabend in St. Peter mit Roger Widmer und Stefan Wirth


Wenn die Saison bei den grossen Kulturinstituten zu Ende ist, springen die kleinen in die Lücke. Im Sommer 2005 wurden die Zürcher Kammerkonzerte begründet, eine Serie, die nun in diesem Sommer fortgesetzt wird. In vier Konzerten in der Kirche St. Peter treten zum Teil berühmte Interpreten wie die Bratschistin Kim Kashkashian oder die Pianistin Angela Hewitt auf. Im zweiten Konzert vom vergangenen Donnerstag gab es mit dem Liederabend des Tenors Roger Widmer und des Pianisten Stefan Wirth ein Zürcher Heimspiel. Die beiden jungen Künstler stellten in ihrem Programm Vertonungen von Heine- und Baudelaire-Gedichten einander gegenüber und konnten sich so in mannigfaltigem Licht zeigen.

Erste Eindrücke des Sängers boten "Deux chansons sur des poèmes de Baudelaire" von Henri Duparc. Dabei füllte Roger Widmers sonore Stimme den Kirchenraum mehr als genug, manchmal forcierte er sie sogar bis zur Schmerzgrenze. Sein Tenor ist sehr stark baritonal gefärbt, was zur Folge hatte, dass ihm die Spitzentöne nicht immer nach Wunsch gelangen. In den "Cinq poèmes de Baudelaire" von Claude Debussy zeigte sich Widmer zudem als feinsinniger Gestalter, der die Stimmung der morbiden Texte und der melancholischen Weisen treffend wiedergab. Stefan Wirth entpuppte sich als ein idealer Begleiter, der einerseits dem Sänger fast alles von den Lippen ablas, der aber das Heft an den entscheidenden Stellen auch selber in die Hand nehmen konnte. Im Klavierstück "L'île joyeuse" demonstrierte er, dass er ein Debussy-Spiel mit leuchtenden Farben und deutlichen Konturen bevorzugt.

Bei den Heine-Vertonungen standen sich Franz Schuberts "Schwanengesang" und Robert Schumanns "Liederkreis" gegenüber. Beide Texte drehen sich um verlorene Liebe; Schubert geht das Thema mehr reflektierend, Schumann mehr episch an. Die zweite Art schien Widmer mehr zuzusagen. Bei Schuberts Lyrik trug er dynamisch mehrmals zu dick auf und versuchte zu wenig, das dargestellte Leid durch andere Mittel auszudrücken. Der erzählerische Gestus in Schumanns "Liederkreis" kam dann der auf Gegensätze und dramatische Zuspitzungen bedachten Interpretation des Sängers sehr entgegen. Dazwischen bot der Pianist mit Schumanns "Blumenstück", das er in der Spannung von Kantabilität und Drängen hielt, eine starke Einlage.


Thomas Schacher

Zürich, St. Peter, 13. Juli.

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