5. August 2006, Zürcher Oberländer

Bis zum leisesten Ton

Mit dem Einbruch des kühlen Wetters sind auch die sommerlichen Zürcher Kammerkonzerte in der Kirche St. Peter zu Ende gegangen.


Das kleine, aber feine Festival zog erfreulich viele Daheimgebliebene an. So auch das Schlusskonzert am Donnerstagabend mit dem auserlesen zusammengestellten Klavierrezital der jungen kanadischen Pianistin Angela Hewitt.

Ein Klavierrezital in der Kirche? Der grosse hohe Raum und die hallende Akustik sprechen eher dagegen. Die Kirche St. Peter überrascht in dieser Hinsicht jedoch immer wieder: Gerade für Angela Hewitt mit ihrer Piano-Kultur und ihrem sparsamen Pedaleinsatz entpuppte sich diese "tragende" Akustik als ideal. Der stilistische Streifzug von Bach über Mozart zu Chopin und Ravel gelang der jungen Pianistin mit phantasievoller Verspieltheit, klarer rhythmischer Stringenz und lyrischer Magie.

Dass Hewitt eine zu Recht vielfach ausgezeichnete Bach-Interpretin ist, offenbarte sich in der Partita Nr. 4 D-Dur. Das Tänzerische dieser Musik entfaltete sie nicht nur mit schlankem Ton und einem weichen, rhythmisch streng konsequenten Bass. Was sie darüber hinaus an lustvollen Pirouetten, leichtfüssigen Schrittkombinationen und phantasievollen Phrasierungen "vortanzte", war von wunderbarer Frische und Eleganz.

Wie hoch differenziert Hewitts Anschlag ist, zeigte sich in der Sonate c-Moll KV 457 von Mozart. Die Terrassendynamik - also der blockartige, abrupte Wechsel von Laut und Leise - gelang ihr jedes Mal wieder anders. Vor allem im Decrescendo riskierte Hewitt alles, die Abphrasierungen verschwanden fast ins Nichts. Die St.-Peter-Akustik trug jedoch auch die leisesten Töne bis zum hintersten Platz. Auch wenn man Chopin gerne etwas klangkräftiger mag, Hewitt betonte in den Mazurken die empfindsame Seite dieses polnischen Nationalhelden mit überzeugender Natürlichkeit. Keine Manierismen, kein Zerdehnen. Bei den Ges-Dur-Girlanden im Walzer op. 70 Nr. 1 hielt man sogar den Atem an: Da war nur ein Hauch, zart und doch präsent. Und schliesslich Ravels "Le Tombeau de Couperin", dieses eigenartig lichte, anmutige Stück im Andenken an die Toten. Hewitt vermochte Ravels klar gemeisselte Linie natürlich und inspiriert mit dem heiteren Grundton zu mischen - das Publikum war hingerissen.


Sibylle Ehrismann



Diesen Artikel finden Sie auf ZOL Online unter:
http://www.zol.ch/zo/detail.cfm?id=357840
Download Kritik als PDF



Copyright © Zürcher Oberländer